Über Ober - und Untergrenzen - Steilpass

mit Dieter Kläy (FDP) und Sarah Casutt (AL)

Sarah Casutt: Guten Tag Herr Kläy – Wie beurteilen Sie die grossen Abstimmungserfolge zum Mindestlohn in Winterthur mit 65 Prozent und Zürich mit 70 Prozent? Und inwiefern sehen Sie die Rekurse gegen den Mindestlohn von bürgerlicher Seite als gerechtfertigt, insbe- sondere da Sie selbst als Ressortleiter für den Schweizer Gewerbeverband tätig sind?

Dieter Kläy: Lohnverhandlungen sollen Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern, bei Gesamtarbeitsverträgen Gewerkschaften und Arbeitge- berorganisationen vorbehalten sein. 2014 ist eine Initiative mit 76 Prozent der Stimmen gescheitert. Regionale Flickenteppiche unterschiedli- cher Mindestlöhne machen keinen Sinn. Wie begründen Sie die polizeikritische Haltung der AL?

Sarah Casutt: Seit 2014 hat sich das Abstimmungsergebnis klar verändert und ein politisch gesetzter Mindestlohn zur Bekämpfung der stei- genden Armut ist absolut gerechtfertigt. Die Polizei ist Teil der Stadtverwaltung mit viel Macht, da ist es nur normal, sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Welche Lösung sehen sie bei der aktuellen Wohnkrise und immer teureren Mieten?

Dieter Kläy: Bauen muss attraktiver werden. Denkmal – und Heimatschutz muss gelockert, Baubewilligungen beschleunigt und die Aus- nützungsziffer erhöht werden. Büros müssen in Wohnungen umgewandelt werden können. Braucht es tatsächlich eine Solarpflicht auf je- dem Dach von Winterthur?

Sarah Casutt: Einfach nur mehr Bauen allein reicht nicht aus. Es braucht eine Begrenzung der Profitgier von Immobilienbesitzer:innen. Allein 2021 wurden schweizweit 10 Milliarden Franken zu viel Miete bezahlt. Die Wohnschutzinitiative fordert hier unter anderem eine Obergrenze für Mieten nach Sanierungen. Die Ausnutzung von möglichst vielen Dachflächen für Solaranlagen ist definitiv sinnvoll.

Dieter Kläy: Die Nutzung von Dachflächen ist tatsächlich sinnvoll. Aber sie muss Sinn machen und darf kein Zwang sein. Gesetzliche Obergrenzen für Mieten nach Sanierungen sind ein zu starker Eingriff ins Eigentum. Das lehne ich ab. Wie soll sich Winterthur als Wohn- und Arbeitsstadt entwickeln?

Sarah Casutt: Nur mit Anreizen allein kann die Energiewende und die Klimakrise im Allgemeinen nicht angegangen werden. Winterthur soll eine Stadt mit bezahlbaren Wohnungen für alle sein, ein breites Kulturangebot und Freiräume fördern, sowie die Mitbestimmung der Bevöl- kerung bei der Stadtentwicklung stärken. Welche Ansätze sehen Sie denn für eine rechtzeitige Energiewende?

Dieter Kläy: Ansätze für eine rechtzeitige Energiewende sehe ich unter anderem in Investitionen in die Wasserkraft, Förderung der erneuerbaren Energien, Ausbau im Bereich der Photovoltaik, AKW solange betreiben, wie möglich, damit keine Lücken entstehen. Effizienzsteigerungen dank intelligenter Gebäudetechnik, kein Technologieverbot. Ist Ihr Ziel nicht Versorgungssicherheit?

Sarah Casutt: Atomkraftwerke so lange wie möglich betreiben, macht die Schweiz im Fall von Beznau I bereits seit 54 Jahren. Das macht es zum weltweit ältesten Atomkraftwerk und laut Studien ist die abnehmende Sicherheit besorgniserregend. Die Versorgungssicherheit ist wichtig, gleichzeitig ist es aber nicht auf nachhaltige Weise möglich, so viel Energie wie bisher zu verbrauchen. Es braucht kreative Ansätze von Degrowth.

Dieter Kläy: Wir benötigen eine Energiestrategie, die von der Bevölkerung und der Wirtschaft akzeptiert ist und die auch getragen werden kann. Sie darf einkommensschwache Schichten auch nicht benachteiligen. Was verstehen Sie unter »kreativen” Ansätzen?

Sarah Casutt: Es braucht eine sozialgerechte Energie - und Klimastrategie, die von Bevölkerung und Wissenschaft getragen werden. De- growth heisst für mich, den Wohlstand aller nicht mit Wirtschaftswachstum sondern Lebensqualität zu beschreiben. Wie hebt sich die FDP von der SVP ab? Die letzten Abstimmungen im Nationalrat und die Listenverbindung für die Wahlen zeigen keine grossen Unterschiede.

Dieter Kläy: Die FDP unterscheidet sich in einigen Themen von der SVP, wie zum Beispiel in der Frage der Personenfreizügigkeit und der bilateralen Verträge gegenüber Europa, die für uns wichtig sind. Gemeinsamkeiten haben wir zum Beispiel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Listenverbindung ist eine rein technische Massnahme und dient der Sicherung von Restmandaten der Lis- tenverbindungspartner.

Dikussion in der Winterthurer Zeitung: t3://file?uid=163059