Ein etwas anderer Rückblick auf die letzte Legislatur

Urs Hofer, Fraktionspräsident FDP, lässt die vergangene Legislatur Revue passieren.

Der Stadtrat hat letzte Woche mit ziemlich viel Tamtam seinen Legislaturbericht 2018-2022 präsentiert. Es ist wohl kein Zufall, dass diese Präsentation kurz vor dem Erhalt der Wahlunterlagen für die Gesamterneuerungswahl erfolgt ist. Obwohl man vor demselben Hintergrund ohnehin sehr viel Selbstbeweihräucherung befürchten musste, war ich trotzdem schockiert, wie unkritisch der Stadtrat seine eigene Leistung eingestuft hat. Wenn man einen derart erheblichen Verwaltungsaufwand betreibt und immerhin rund 57 Seiten Papier produziert, dann müsste man schon den Anspruch haben, etwas zu produzieren, das irgendeinen Mehrwert hat (z.B. indem man daraus etwas lernen/ableiten kann für die Zukunft) und nicht nur Wahlpropaganda ist.

Vor diesem Hintergrund nutze ich die Gelegenheit, um 4 anscheinend vergessen gegangene Aspekte in Erinnerung zu rufen:

1. Fehlende Beurteilung der Qualität der Umsetzung:

Der Legislaturbericht arbeitet mit roten und grünen Farben. Vereinfacht gesagt, erscheint in der Beurteilung alles grün, woran man in den letzten 4 Jahren igendwann einmal mehr als 5min gedacht hat (dann ist es «in Umsetzung»). Das dies nicht unserem Anspruch genügen kann, erscheint klar: Vielmehr müsste man sich auch kritisch mit dem Stand der Planung und der Qualität der Umsetzung auseinandersetzen. Ein paar wenige aus dutzend möglichen Beispielen:

  • Die Parkplatzbewirtschaftung wird grün gewertet, obwohl die wichtigste Vorlage vom Volk abgelehnt wurde.
  • Das Konzept «Stadthausstrasse ohne Durchgangsverkehr» wird grün gewertet, obwohl es durch einen Rechtsstreit blockiert ist und man hier mitunter das Kunststück geschafft das, dass auch der VCS dagegen rekurriert (also ein Verband in dessen Interesse eine Stadthausstrasse ohne Durchgangsverkehr eigentlich liegen müsste).
  • Die «Reorganisation der Schulbehörden» ist grün gewertet, obwohl die Umsetzungsarbeiten derart schleppend verlaufen, dass das Stadtparlament das Heft teilweise selber in die Hand nehmen musste.
  • Die «Umsetzung von Infrastrukturvorhaben zur Förderung des Veloverkehrs» ist grün gewertet, obwohl in den letzten 4 Jahren kein Meter Veloschnellroute effektiv eingeweiht wurde.

Kurzum: Die Wahrheit liegt wohl oft zwischen Grün und Rot und da eher bei Orange. Gehen wir einmal grob auf die Suche nach Erklärungen:

2. Zahlreiche Rechtsstreitigkeiten:

Es fällt auf, dass es eine Zeit war, die - mehr als andere - geprägt war von diversen Rechtsstreitigkeiten und prozessualen Niederlagen (2 pendente Streitigkeiten i.S. Pensionskasse, Einsprache Stadthausstrasse, Einsprache Etzbergkreisel, Annullierung Verkehrsberuhigungsbeschlüsse Neuwiesen-Oberfeld, Rekurse gegen die Blaue Zone Breite, mehrere annullierte Submissionen im Bereich Schule etc.).

3. Abfluss von Know-How in leitenden Stellen:

Weiter ist es äusserst beunruhigend und ebenfalls eine mögliche Erklärung für die schleppende Umsetzung, wie viele leitende Angestellte in den letzten vier Jahren gekündigt haben oder sich vorzeitig pensionieren liessen (z.B. rekord-mässig kurze Episode des Nachfolgers von Herrn Holzer als «Leiter Finanzamt»; die Position «Leiter Baupolizeiamt» blieb sehr lange unbesetzt; der «Leiter Tiefbauamt» geht nun ebenfalls; der Polizeikommandant lässt sich noch vor der Einweihung seines neuen Polizeigebäudes frühzeitig pensionieren). Allgemein brodelt es bei der Polizei aktuell gewaltig: Man gewinnt von aussen den Eindruck, als sollte sich die selbsternannte Umweltministerin dringend mal wieder in Erinnerung rufen, dass das Gros ihrer Mitarbeitenden sich Tag für Tag für ein anderes wichtiges Thema einsetzt.

4. Finanzen:

Und letztlich bleibt der Elefant im Raum: Wir haben – obwohl bei den Finanzen ebenfalls alles grün gewertet wurde – immer noch überhaupt keine Ahnung , wie wir die vielen anstehenden Grossprojekte (div. Schulhausneubauten, Klimawende, 2. Hallenbad etc.) auch nur ansatzweise finanzieren können. Da hilft es überhaupt nicht, dass die letzten 4 Jahre auch eine Zeit waren, wo grössere Firmen und Arbeitgeber der Stadt Winterthur den Rücken gekehrt haben.

 

Die 4 genannten Aspekte werfen daher keineswegs nur grünes Licht auf die 4 wichtigsten Eckpfeiler eines jedes Betriebs: Personalführung, Gesprächs- und Dialogkultur, Finanzen und Produktqualität. Daher der Appell, dass der Stadtrat gestern, heute und in den nächsten 4 Jahren - egal in welcher Zusammensetzung - nicht nur einfach Themen irgendwie abarbeiten, sondern echte Führungsverantwortung in all den genannten Aspekten an den Tag legen sollte. Nur so können gesetzte Ziele erfolgreich umgesetzt werden. Gouverner ist daher doch etwas mehr als bloss prévoir – es ist halt auch réaliser.